In Zeiten der Corona-Krise hört man immer mehr schlechte Nachrichten aus dem Bereich des Kunststoffrecyclings. Das war auch schon in den vorhergehenden Jahren so. Die Industrie sei am Boden, keiner nähme etwas ab, Rohöl ist zu billig.

 

Was ist der Auslöser?

Sicherlich sind das alles wahre Argumente. Aber sie zeigen nur die halbe Wahrheit. Neben all der Niedergeschlagenheit, müssen wir uns eingestehen, dass wir diese Krise selbst zu verantworten haben.

Die Gier nach immer höheren Erlösen für Abfälle und das gegenseitige Unterbieten bei den Entsorgungskosten spielen ebenso in diese Krise mit rein, wie das geänderte Konsumverhalten der Endverbraucher (siehe billige Kleinplastikartikel, Fast Fashion, bunte Verpackungen). Damit wurde gemeinschaftlich das Kunststoffrecycling in Europa geschwächt bzw. nicht tragfähig aufgebaut.

Mit dem steigenden Export nach China und in andere asiatische Länder, stieg auch das Abhängigkeitsverhältnis an. Verringert sich in diesen Ländern die Abnahmemenge an Gütern, so sinkt auch die Nachfrage nach dem Rohststoff Kunststoffabfall. Wir bekommen diesen Produktionseinbruch ebenso zu spüren, als sei er vor der Haustür geschehen.

Gibt es eine Lösung?

Jeder der mich kennt, weiß dass ich immer für eine fremdstofffreie Sortierung plädiere. Kunststoffabfälle sind in Europa leichter zu vermarkten und zu verwerten, wenn Fremdstoffe wie Papier, Dosen, Reifen, Schuhe oder artfremde Kunststoffe nicht in den Ballen eingepresst sind. Meiner Meinung nach ist es Aufgabe eines guten Entsorgers, diese Materialien zu entfernen oder ggf. bei seinen Kunden für eine unvermischte Zusammenstellung zu werben.

Ein weiterer Schritt, der die Recyclingkapazitäten stärkt, ist eine kooperative Zusammenarbeit.

Auf der Hannover Messe öffnete mir ein potentieller Geschäftspartner dafür die Augen. Er ist in Norddeutschland ansässiger  Automobil- und Werkzeughersteller und weltweit tätig. Er erklärte mir, dass er nahezu alle Fahrzeughersteller beliefert. Ich fragte ihn, wann der Einsatz von Rezyklat für ihn sinnvoll sei. Seine Antwort war ernüchternd, wie erhellend.

„Eigentlich gar nicht“ sagte er.

Der Grund ist, dass er die Kunststoffe in einer ganz bestimmten und stets gleichbleibenden Qualität benötigt und das in großen Mengen. Die Verwerter, die er in Europa angesprochen habe, wollten aber nicht in der Menge liefern.
Ich sage bewusst „wollten“: Zurecht setzt kein Fabrikant all seine Kapazitäten nur für einen einzelnen Kunden ein.

Folglich habe er Testläufe mit verschiedenen Recyclern gefahren. Mit dem Ergebnis, dass die gelieferten Rezyklate nicht die notwendige Homogenität und teilweise auch nicht die gewünschte Qualität aufwiesen. Dafür gibt es verschiedene Gründe  wie Input-Material, Beimischung, Compounds, Anlagentechnik oder auch geänderte Wünsche des Kunden.

Kooperationen sind eine mögliche Lösung.

Das Problem und die Aussagen, des Ausstellers stimmten mich auf der Rückfahrt nachdenklich. Wie konnte man das zielorientiert angehen? Klar, war auf der A2 mal wieder Stau und damit Zeit zum Nachdenken. Als ich am Baustellenschild stand, erinnerte ich mich an die meine Jahre im Bauunternehmen. Letztlich kam ich zu dem Schluss, dass die Bildung von Kooperationen eine mögliche Lösung ist.
Ähnlich einer ARGE beim Autobahnausbau, schließen sich die kunststoffverwertenden Unternehmen zusammen. Eine Arbeitsgemeinschaft (kurz: ARGE) bezeichnet einen temporären Zusammenschluss, mehrerer wirtschaftlich und rechtlich selbstständiger Unternehmen, mit dem Ziel gemeinsam ein Projekt zum Erfolg zu führen.  Man kann durchaus von erfolgreichen Bauunternehmen lernen. Nicht jedes Unternehmen verfügt über die gleichen Ressourcen, z.B. Maschinen, Know-How, Mitarbeiter. Folglich werden die Aufgabenvielfalt und das Aufgabenvolumen durch die gegenseitige Ergänzung bewältigt.

Gerade in der Baubranche ist vieles nicht vorhersehbar. Qualität ist aber immer wichtig. Jeder der einmal Risse im Eigenheim entdeckt, weiß was ich meine. Übertragen auf den Kunststoffsektor bedeutet dies, das Projekt gemeinsam mit gleichen Qualitätsvereinbarungen anzugehen. Denkbar ist dass einzelne Leistungsanteile in einer mengenmäßig und zeitlich fixierten Form an die Recyclingunternehmen vergeben werden.

Vorraussetzungen für erfolgreiche Kooperationen

Allianzen werden von Menschen gemacht. Das setzt ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen und Kompromissbereitschaft voraus.
Kooperation und Konkurrenz bestehen nebeneinander. Dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein. Diese Erkenntnis schützt vor naiver Solidaritätsgläubigkeit als auch vor ruinöser Rivalitätsmentalität.

Es ist ein wichtiger Punkt, das Wohl der kompletten Gemeinschaft an zu visieren und nicht nur den eigenen Profit.

Das klingt ein bisschen nach Sozialismus, oder?

Dennoch ist diese Fokussierung unerlässlich. So lange ein Teilnehmer mit den Ergebnissen der Zusammenarbeit nicht zufrieden ist, wird er auch nicht das optimal Mögliche erbringen. Ohne die Zuverlässigkeit aller Beteiligten, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Was passiert wohl wenn ein Partner einfach mal nicht das Rezyklat zum verabredeten Zeitpunkt liefert, weil er z.B. einen lukrativeren Auftrag hat? Oder ein Lieferant minderwertiges Rezyklat liefert, weil er das hochwertige Inputmaterial nicht mehr bezahlen kann, da er von der Zusammenarbeit nicht profitiert? Eine Kooperation macht nur dann Sinn, wenn alle damit Geld verdienen. Es muss eine Win-Win-Situation bestehen – trotz Konkurrenz.

Ein Beispiel das uns allen bekannt ist:

Die Beatles wären nicht erfolgreich gewesenen, wenn Paul nur vor sich hin getextet hätte oder Ringo allein Schlagzeug spielt. Erst die gemeinschaftliche Zusammenarbeit der Fab Four, brachte den Durchbruch. Man nutzte Synergie-Effekte, ergänzte sich, reib sich aneinander, trieb sich gegenseitig an, konkurrierte und profitierte voneinander. Als man Jahre später zu dem Schluss kam, dass man nicht mehr von einander profitiert, löste sich die Band auf.

Sicherlich gilt es auch Haftungsfragen im Vorfeld zu beleuchten.
Diese sind ebenso, wie preisliche, qualitative und terminliche Aspekte vertraglich festzuhalten. Gedanken sollten man sich auch darüber machen, ob und wie die Kooperation in Außenwirkung tritt. Wer verhandelt mit dem Auftraggeber? Wer ist Ansprechpartner bei logistischen Fragen? Wie werden einzelne Lieferungen dokumentiert? Gemeinsames Nachdenken, u.U. auch mit einem guten Mediator oder fairen Rechtsanwalt, leisten Starthilfe.

Die gegenseitige Ergänzung bringt Erfolg.

Konkret bedeutet das zu wissen, wo die Leistungsfähigkeit liegt und diese mit Partnern zu kombinieren. Das Projekt wird gemeinsam angegangen, mit gleichen Qualitätsvereinbarungen, zu fixen mit dem Kunden vereinbarten Konditionen. In dem „Hannover-Messe-Beispiel“: das Rezyklat mit dem gewünschten Schmelzindex, den gleichen Compounds, einem nahezu gleichem Input-Material, der gleichen Form und Farbe wird bereit gestellt.

Hat die Gemeinschaft Potential für die Zukunft können weitere Partner und Projekte gewonnen werden. Eventuell ist dann die Gründung einer Genossenschaft denkbar. Eine Gesellschaftsform mit vielen Vorteilen, über die ich in einem anderen Blogbeitrag berichten werde.

In jedem Fall ist es notwendig neue Handlungsstrategien zu entwickeln, statt lediglich nach der Politik zu rufen, dass sie für einen handeln möge. Eine Kooperation ist eine solche Strategie. Diese kann sich nicht nur vertikal, z.B. auf die Lieferung von Regranulaten oder Gestellung von Abfallberhältern, ausgerichet sein,  sondern auch horizontal, in dem man vor- oder nachgelagerte Bereiche mit einfasst. Fixierte Zusammenarbeiten zwischen Entsorgern und Kunststoffverwertern sind ein Beispiel hierfür.

Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen sind Kooperationen  interessant. Schließlich verfügen derartige Marktteilnehmer nicht immer über die Möglichkeit, andere Betriebe aufzukaufen. Werden belastbare Allianzen geschlossen, besteht auch keine Notwendigkeit dafür. Die Marktstellung lässt sich anderweitig verbessern.

Anfangs ist die neue Zusammenarbeit vielleicht mühsam, kostet Energie und wirft Fragen auf.
Aber ein Umdenken lohnt sich, damit die Entsorgungs- und Kunststoffwirtschaft solide und zukunftsfähig aufgestellt ist.

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