In diesem praktischen Beispiel erfahren Sie, warum ein Scrum-Master agil führt und warum disziplinarische Führung ihn scheitern lässt. Der Scrum-Prozess ist effektiv und einfach zu erlernen. Aber die Ausführung hat manchmal seine Tücken.
Ein großes Unternehmen in Hannover führte Scrum ein.
Das Handelshaus ist in Norddeutschland mit mehreren Filialen vertreten, so dass man nach einer Möglichkeit suchte, die Warenstände in den verschiedenen Niederlassungen softwaregesteuert zu kontrollieren. Man hatte von dem Framework Scrum gehört und davon, dass sich damit Prozesse und Produkte schneller und kostengünstiger entwickeln ließen. Also wurden Agile Coaches gebucht, Mitarbeiter eingestellt und zu besten Schulungen geschickt. Gut vorbereitet und frohen Mutes ging man an’s Werk. Und scheiterte nach nicht ganz einem Jahr.
„Scrum funktioniert bei uns einfach nicht“ hörte ich einen der Scrum Master sagen.
Was war passiert?
Es war eine ganze Menge „passiert“. Ein wesentlicher Makel stellte sich jedoch gleich zu Beginn ein: Der Scrum Master bekam die disziplinarische Führung des Teams. Das kann in kleinen Unternehmen durch aus gut gehen. In großen Gesellschaften finden sich komplexere soziale Strukturen und verzweigtere Zusammenhänge. Mit Blick auf derartige Unternehmen haben Jeff Sutherland und Ken Schwaber Scrum bewusst hierarchiefrei gehalten.
Gloger bezeichnet den Scrum Master als „Change Agent ohne Machtbefugnis“ (Gloger, 2016 , „Scrum“). Warum ist das so wichtig? Der Scrum Master treibt den Prozess voran, er will sein Team produktiver machen. Das schafft er in dem er Hindernisse aus dem Weg räumt und das Development Team befähigt, vorhandene Strukturen zu ändern. Einfach gesagt würde man ihm eine Art „Klassensprecherfunktion“ zuschreiben. Er ist Teil des Scrum-Teams und damit der Botschafter gegenüber dem Management. Er führt agil.
Ist er aber auch die disziplinarische Führungskraft, wird die Rolle des Scrum Masters auf eine andere Ebene gehoben. Er ist nicht mehr auf Augenhöhe mit dem Development-Team. Psychologisch gesehen haftet ihm der „Stempel der Macht“ an. Der Scrum Master steht dann über den Mitarbeitern. Er ist automatisch Teil des Managements, gegenüber dem er sich für sein Team stark machen soll. Das birgt die Gefahr, dass er nicht alle Hindernisse erfährt. Je nach persönlicher Vertrauenslage, werden die Mitarbeiter des Teams nicht jeden Fehler mit dem Scrum Master besprechen. Die Kommunikation leidet dahingehend, Blockaden oder Missstände im Unternehmen offen anzusprechen. Das können organisatorische Belage sein, Missverständnisse mit anderen Abteilungen bis hin zu Konflikten mit Filialleitern, wie es in unserem norddeutschen Beispiel war. Der disziplinarische Scrum Master hört davon nichts.
Im Unterbewusstsein schwingt die Angst vor beruflichen Konsequenzen mit. Denn als Angestellter hat man nicht nur den Unterstützer vor sich, sondern auch den Vorgesetzten. Ganz klar, sind die Mängel nicht bekannt, fehlt auch die Möglichkeit diese abzustellen.
Gleichsam kann das Pendel auch in die andere Richtung ausschlagen. Ein befreundeter Agile Coach sagte einmal „Scrum kennt keine Rockstars“. Ist der Scrum Master aber auch derjenige, der Gehaltserhöhungen und Beförderungen veranlassen darf, wird es wohl den einen oder anderen Mitarbeiter geben, der sich in den Vordergrund drängt. Frustration im Scrum-Team ist eine mögliche Folge. Eine Senkung der Produktivität eine weitere.
In beiden Fällen wird der Scrum Master selbst zum Hinderniss.
Der Grund warum, man in Hannover dem Scrum Master auch die disziplinarische Führung gab, war die Unterstellung dass das Team einen „Antreiber“ braucht. Jemand sollte den Hut aufhaben und dafür Sorge tragen, dass alle Aufgaben verteilt sind. Das widerspricht aber dem Prinzip der Selbstorganisation, die für nahezu alle agilen Arbeitsweisen unerlässlich ist. Ratzfatz hat man wieder eine patriarchische Struktur mit Kontrollmechanismen.
Folglich ist es sinnvoll, den Scrum Master in der von Schwaber und Sutherland vorgesehenen Rolle zu belassen und stattdessen den eigenen Vertrauensmuskel zu stärken.
Der Scrum Master ist ein Moderator, ein Coach und ein „servant leader“. Vor allem ist er eine Führungspersönlichkeit, die aus tiefer Überzeugung handelt und andere spüren das. Er ist eine Führungspersönlichkeit, die ihre Macht nicht aus einer Position heraus bezieht, sondern durch den Rückhalt der Menschen, für die er sich stark macht, und der Leistung, die er gemeinsam mit seinem Scrum-Team erbringt. Scrum-Master sind agile Führungskräfte.
Aus Gründen der Lesbarkeit wurde vornehmlich die männliche Form verwendet. Liebe Scrum-Masterinnen, liebe Agilistinen, liebe weibliche Führungskräfte, liebe Leserinnen: ich möchte euch mit diesem Beitrag ebenso ansprechen.